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Nilufar Shukhievas Anstrengungen haben sich ausgezahlt – sie hat Deutsch gelernt und einen Job gefunden. Eine Ausstellung im Rathaus erzählt ihre und weitere Geschichten.
Von Pauline Maus
„Als ich nach Deutschland kam, konnte ich kein Wort Deutsch“, sagt Nilufar Shukhieva. Mit ihrem Mann und vier kleinen Kindern musste sie damals aus ihrer Heimat, Tadschikistan, fliehen und fand in Bünde ein neues Zuhause. Heute, sechs Jahre später, spricht sie fließend Deutsch, hat einen Job und erzählt von ihren Anstrengungen, sich in Deutschland einzuleben. Damit möchte sie anderen Frauen Mut machen und zeigen, dass eine erfolgreiche Integration mit etwas Mühe für jede geflüchtete Frau möglich ist.
„Es war nicht einfach“, beginnt Nilufar Shukhieva ihren Weg der vergangenen sechs Jahre ganz ungeschminkt zu erzählen. Viele Hürden machten es ihr nicht leicht. Eine davon war die fremde Sprache. Daher ihr erster Schritt: Deutsch lernen. „Ich wollte nicht nur Zuhause sitzen, ich wollte ein Vorbild für meine Kinder sein.“ Einen Sprachkursus bekam die heute 41-Jährige aber nicht auf Anhieb, denn es fehlte zunächst die Aufenthaltsgenehmigung. Beim Verein International Bünde fand sie eine ehrenamtliche Anlaufstelle und absolvierte dort einen Sprachkurs.
Ihr fünftes Kind kam kurz nach der Flucht in Deutschland zur Welt. „Heute ist meine kleinste Tochter schon fünf“, erzählt die Mutter stolz und berichtet, dass es nicht einfach war, Ausbildung und Familie unter einen Hut zu bringen. Nach dem Sprachkurs fand sie eine Ausbildungsstelle als Verkäuferin in einem Supermarkt. Kein Traumjob für Shukhieva, die in ihrer Heimat Mathelehrerin war. Trotzdem absolvierte sie die Ausbildung mit der Note drei. „Das war für mich wie eine Eins“, sagt die junge Frau rückblickend.
Nicht einfach: Ihr Kopftuch hat sie abgelegt
Auch ein Stück ihrer Kultur und Religion musste Shukhieva für ihr Ankommen in Deutschland hinter sich lassen. Kein leichter Schritt, wie sie erzählt. Vor ihrer Ausbildung habe sie ein Kopftuch getragen. Ihr Mann hätte ihr allerdings dazu geraten, das Kopftuch abzulegen, um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Das hat die fünffache Mutter viel Überwindung gekostet, wie sie erzählt: „Ich fühlte mich wie ohne Kleidung. Ich habe mich aber nach zwei Monaten daran gewöhnt.“
Die junge Frau spricht nicht nur Deutsch, sondern neben ihrer Muttersprache Tadschikisch auch Persisch, Afghanisch und Russisch. Mittlerweile arbeitet Nilufar Shukhieva im Ausländer- und Integrationsbüro in Herford. Dort hilft sie, auch ihrer Sprachbegabung wegen, derzeit vor allem den Geflüchteten aus der Ukraine, sich in Deutschland zurechtzufinden und die vielen Antragsformulare auszufüllen.
Arbeitet die Mutter bald wieder in ihrem Traumberuf?
„Wenn man ein Ziel hat, kann man das auch erreichen“, ist sich Shukhieva sicher. Jedoch reiche es nicht, zu warten, dass jemand an die Haustür klopft und Hilfe anbietet. „Man muss sich selber Unterstützung suchen“, erklärt sie und möchte so andere Frauen motivieren, sich neue Dinge zu trauen. Deshalb habe sie auch im Rahmen des Projektes der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Ostwestfalen-Lippe „Geschichten, die Frauen Mut machen“, ihre Geschichte erzählt.
Nilufar Shukhievas persönlicher Erfolgsweg ist noch nicht vorbei. „Hoffentlich darf ich bald in der Gesamtschule hier in Bünde wieder unterrichten“, sagt sie. Alle Unterlagen seien bei der zuständigen Behörde in Detmold eingereicht, es fehle nur noch die Bestätigung. Dann möchte sie geflüchtete Kinder aus der Ukraine unterstützen und ihnen Mathematik und Deutsch beibringen.
Ausstellung - "Geschichten, die Frauen Mut machen"
Die Ausstellung „Geschichten, die Frauen Mut machen“ kann noch bis einschließlich Donnerstag, 13. Oktober, zu den regulären Öffnungszeiten im Foyer des Bünder Rathauses besichtigt werden.Zudem zeigt ein Dokumentarfilm der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Ostwestfalen-Lippe die Geschichten einiger Migrantinnen aus dem Kreis Herford, die auch in der Ausstellung zu sehen sind.
Bünde. Bei der üngsten Jahreshauptversammlung wurde der Vorstand des Vereins „International Bünde“ einstimmig im Amt bestätigt. Dem Verein, der sich seit Jahren kontinuierlich um Migranten und Flüchtlinge in Bünde kümmert, steht weiterhin Ulrich Papke als Vorsitzender vor. Sein Stellvertreter ist wie bisher Sevket Gözlükaya. Die Kassengeschäfte werden von Liesel Englisch getätigt. Schriftführer bleibt Winfried Keller. Drei Beisitzer ergänzen das Vorstandsteam. Während Ali Bozkurt schon auf eine längere Amtszeit in dieser Funktion zurückblicken kann, sind Dieter Hahn und der Syrer Aram Hame neu mit dieser Aufgabe beauftragt. Zu Kassenprüferinnen wurden Ute Fröhlich und Sigi Greenall gewählt.
Die Corona-Pandemie schränkte die Arbeit des Vereins deutlich ein, sie kam aber nicht völlig zum Erliegen. Ein Schwerpunkt waren Deutschkurse und Nachhilfeunterricht. Hierfür investierte der Verein in den Jahren 2020/21 rund 11.200 Euro aus Spenden und Eigenmitteln. Wenn sich die Corona-Bedingungen wieder normalisieren, will der Verein einen dritten syrischen Kulturabend anbieten.
Bünde (WB) „Ideen werden Wirklichkeit – 100 Förderpakete für Vereine in der Region“ ist das Motto, unter dem „Westfalen Weser Energie“ zum dreizehnten Mal seinen Wettbewerb ausgeschrieben hat, bei dem innovative Projektideen mit Vorbildcharakter prämiert wurden. Eines der 100 Förderpakete, die das kommunale Unternehmen 2021 an Initiativen und Institutionen für die Umsetzung eines nachahmenswerten Projektes vergab, ging an den Verein International in Bünde. Dessen Sprachkurs zur Auffrischung von Deutschkenntnissen wurde mit 600 Euro von Westfalen-Weser prämiert. „Wir freuen uns sehr“, so Vorsitzender Ulrich Papke, „dass unser Einsatz damit auch finanziell anerkannt wird.“ Seit Beginn der Flüchtlingszuwanderung nach Deutschland bietet der Verein Sprachkurse für Migranten an. Doch Corona unterband den Unterricht in Präsenzform. Inzwischen ist er unter Beachtung der Schutzmaßnahmen aber wieder aufgenommen worden.
Für das Maikomitee bleibt das Gedenken an die Pogromnacht Aufforderung zur Wachsamkeit
Von Ralf Bittner
Bünde. Gut 50 Menschen erinnerten am Abend des 9. Novembers am Mahnmal auf dem alten jüdischen Friedhof an die Pogromnacht von 1938 und die in den folgenden Jahren ermordeten Bünder Jüdinnen und Juden. Auf das Verlesen der Namen der Ermordeten folgte ein kritischer Blick auf die Gegenwart verbunden mit dem Aufruf: „Erinnern heißt handeln!“
Eingeladen hatte das Maikomitee Bünde, ein Zusammenschluss von Deutschen Gewerkschaftsbund, Alevitischer Gemeinde, Verein International, Villa Kunterbunt und Initiative 9. November. Den programmatischen Redebeitrag hielt eine Vertreterin der Initiative 9. November. Die Gruppe hatte wegen Corona auf ihre Veranstaltungsreihe zu dem Datum verzichtet, nahm aber die historischen Ereignisse zum Anlass, einen Blick auf die Gegenwart zu werfen.
„Es ist nicht vorbei – das ist die erste Erkenntnis, die uns jeden Tag begleiten sollte“, sagte die Rednerin. In den vergangenen Jahren habe sich deutlich gezeigt, dass „Antisemitismus und die Relativierung der NS-Diktatur keine Randerscheinungen“ in der Gesellschaft seien. Für das Jahr 2020 führte der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus 1.909 gemeldete antisemitische Vorfälle auf. „Der Anschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 zeige in aller Brutalität, „wie in unmittelbar die Gefahr antisemitischer Gewalt ist“, fuhr sie fort.
Die verschwörungsideologischen Erzählungen im Kontext der Corona-Pandemie oder Polizistinnen, die auf dem Berliner Shoah-Mahmal Liegestütze machen, seien einige Beispiele von vielen dafür, wie verbreitet antisemitische und NS-relativierende Positionen in der Gesellschaft seien. Auch die von „Rassismus und Nützlichkeitserwägungen“ geprägte Abschottungspolitik an den EU-Außengrenzen zeige: „Es ist nicht vorbei“. Denn „wer das Sterben an den Grenzen der EU und auf dem Mittelmeer toleriere, mache sich mitschuldig“. Der Rechtfertigung des Auftretens rechtsextremer Verlage auf der Frankfurter Buchmesse als Teil eines „offenes Diskurses“ setzte die Sprecherin entgegen: „Kein Fußbreit des Faschisten“ – und das gelte überall und zu jeder Zeit.
Ein Gemeinschaftsantrag von SPD, Grünen und Linken zur Aufnahme von jugendlichen und unbegleiteten Flüchtlingen aus griechischen Auffanglagern wurde jetzt erneut leidenschaftlich diskutiert.
Von Gerald Dunkel
Bünde. Bereits im Frühjahr diskutierten die Mitglieder des Bünder Stadtrats teils heftig um einen gemeinschaftlichen Antrag von SPD, Grünen und Linke, nach dem die Stadt dem Bündnis „Städte sichere Häfen“ beitreten soll. Damals scheiterte der Antrag, weil auch Mitglieder der Antragsteller sowie die Bürgermeisterin das Thema zunächst in Fachausschüssen beraten wollten. In einem erneuten Versuch fiel der Beschluss dazu – wenn auch nur mit recht knapper Mehrheit.
Bei dem Bündnis „Städte sichere Häfen“ geht es konkret darum, Flüchtlinge aus griechischen Auffanglagern aufzunehmen. Ursprünglich war dieses Städtebündnis dazu gedacht, ein Zeichen gegen die „Abschottungspolitik Europas zu setzen“. Ferner sollten Mittelmeerstaaten wie Italien und Griechenland die Aufnahme von in Seenot geratenen Flüchtlingen zusichern.
Flüchtlingsaufnahme über die Zuweisungsquote hinaus
In dem Antrag fordern die drei Fraktionen neben dem Beitritt der Stadt Bünde zu dem Bündnis ferner die Aufnahme von bis zu zehn minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen über die Zuweisungsquote hinaus. Darüber hinaus die Prüfung, inwieweit die zusätzliche Aufnahme von weiteren hilfsbedürftigen Personen aus den griechischen Auffanglagern möglich ist. Die letzten beiden der fünf Punkte sind mit Forderungen an die Bundesregierung verbunden.
Ganz so lang wie im April dauerte die Debatte jetzt zwar nicht, sie zeigte aber, wie gegensätzlich die Meinungen sind. Schon im Frühjahr gab Oliver Uhlich (CDU) zu bedenken, dass es sich bei den unbegleiteten Flüchtlingen um traumatisierte junge Männer handele, die wesentlich mehr als nur eine Bleibe benötigen würden. Uhlich, der von Beruf Traumapädagoge ist, sagte: „Da kommen keine sechsjährigen Mädchen mit großen Kulleraugen.“
Uhlich machte schon in der ersten Debatte deutlich, dass die Einrichtungen, die traumatisierte Jugendliche nötig hätten, hierzulande bereits am Limit laufen würden. „Es gibt keine Therapieplätze und die Stadt Bünde besitzt die entsprechenden Einrichtungen auch nicht“, so der CDU-Ratsherr. Allerdings habe sich die Jugendhilfe Schweicheln bereiterklärt, eine Einrichtung zu schaffen. „Das wird aber noch eineinhalb bis zwei Jahre dauern“, so Uhlich.
„Hauptamtliche Politiker auf Fehler hinweisen“
Norbert Darnauer (UWG) schloss sich Oliver Uhlich an und machte sein Votum von Uhlichs Expertise abhängig. Ferner sieht Darnauer vor allem die Kosten: „Wir sprechen hier von Kosten in Höhe von 700.000 Euro. Ich erwarte von den Antragstellern, dass sie die entsprechenden Anträge stellen, um diese Summen in den kommenden Haushalt einzustellen. Es nützt nichts, Absichtserklärungen zu bekunden, sondern wir müssen diesen Beschluss dann auch umsetzen.“
Christian Rüter (SPD) sagte dazu, dass es vor allem darum gehe, Verantwortung für diese Menschen zu übernehmen. „Sollte es um Zahlen gehen, werden sich diese drei antragstellenden Fraktionen auch damit beschäftigten“, so Rüter. In Fachausschüssen sei dieses Thema diskutiert worden. „Im Jugendhilfeausschuss ist aber auch klar geworden, dass es kein Problem ist, entsprechende Einrichtungen zur Verfügung zu stellen“, sagte Rüter in Richtung Oliver Uhlich und ergänzte: „Es war allerdings keine Rede davon, dass es eineinhalb bis zwei Jahre dauern könnte.“
Ein "Antrag zum guten Gewissen"
Für Martin Schuster (CDU) ist die Forderung der drei Antragsteller ein „Antrag zum guten Gewissen“. Letztlich hätte es eine Kommune selbst nicht in den Händen, wie viele unbegleitete Flüchtlinge sie zugewiesen bekomme. „Verantwortung kann man übernehmen, wenn man etwas auch selbst entscheiden kann“, so Schuster. In anderen Kommunen hätten die Räte zwar entschieden, dem Bündnis beizutreten und auch Flüchtlinge aufzunehmen, allerdings nicht, auch weitere Kosten zu übernehmen.
Stefanie Janßen-Rickmann sei „vor Wut kurz vor dem Platzen“, wie sie sagte. 267 Städte seien diesem Bündnis beigetreten und die Bundesregierung will keine Verantwortung übernehmen. „Wer, wenn nicht wir, soll dann diese Verantwortung übernehmen? Wenn wir nicht als Kommunalpolitiker etwas tun und unsere hauptamtlichen Politiker auf ihre Fehler hinweisen, dann weiß ich nicht, wer das tun soll und wer dafür verantwortlich ist.“
Bei der Ratssitzung waren 41 der 48 Bünder Ratsmitglieder anwesend. Der Antrag von SPD, Grünen und Linken wurde mit 22 Ja-Stimmen gegen 17 Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen mehrheitlich beschlossen.