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Bünder von der Türkei verklagt, NW Bünde 28.08.2021

 

Ein in Bünde lebender Türke äußerte sich kritisch über Muslime in Mekka, die darüber diskutierten, ob Frauen auch Menschen seien. Nun droht ihm die Türkei mit Gefängnis.

Von Gerald Dunkel

Bünde/Ankara. Vor Jahrzehnten kam Metin G. (Name geändert) aus der Türkei nach Deutschland. Der Mann Anfang 60 lebt hier in Bünde allein und wünscht sich nichts mehr als ein friedliches Leben. Er ist genau das Gegenteil eines religiösen Menschen und bezeichnet sich selbst als Atheist mit einer anti-islamistischen Grundhaltung. Er hat nichts gegen den Islam oder generell gegen Religion, aber er mag keinen Fanatismus – keinen Extremismus. Mit seiner Meinung zu allen möglichen Themen hält Metin G. bei allem Friedenswillen aber nicht hinterm Berg. Das wird ihm in diesen Tagen zum Verhängnis, denn sein Heimatland, die Türkei, droht ihm mit Haft und bat die hiesigen Gerichte um Amtshilfe und Vernehmung von Metin G. – und, wie sich herausstellt, offensichtlich noch vielen weiteren türkischstämmigen Bürgern in Deutschland. Der Vorwurf gegen den Bünder: Rassismus. 

Wenn ich etwas bestimmt nicht bin, dann ist es rassistisch“, sagt Metin G. Er engagiere sich für Gleichberechtigung in jeder Hinsicht – zwischen Religionen, Ethnien, Menschen mit unterschiedlicher sexueller Identität und auch zwischen Geschlechtern. Da stieß im vor einiger Zeit ein Beitrag in den sozialen Medien übel auf. „Ich sah ein Video bei Youtube, das in Mekka (Saudi Arabien) aufgenommen wurde. Darin diskutierten hochgestellte Personen über die Frage ’Sind Frauen auch Menschen?’. Das regte mich sehr auf“, erinnert sich Metin G. im Gespräch mit der Neuen Westfälischen. Er verlinkte das Video bei Facebook und schrieb in seinem Beitrag sinngemäß, dass er die Behauptungen, die die Männer aufstellen würden, gern in dem Buch nachlesen würde, das sie in ihren Händen hielten. Das Buch, das er damit meinte, war der Koran – die Heilige Schrift des Islam. 

Im letzten Absatz wird mit Gefängnis gedroht 

Es dauerte nicht lang, bis seine Beiträge bei Facebook und auch beim Kurznachrichten-Dienst Twitter gelöscht waren . Seine Konten bei den beiden Onlinediensten seien sogar kurzzeitig gesperrt gewesen. Metin G. verstand die Welt nicht mehr. „Darf man seine Meinung nicht mehr öffentlich sagen?“, fragte er sich selbst. Er ist sich sicher, dass für die Löschung seiner Beiträge viele Beschwerden bei den Online-Diensten eingehen müssen, damit dort reagiert wird. Er vermutet eine Gruppe oder Organisation, die die sozialen Medien auf derlei Beiträge hin durchsucht und dann gleich hundertfach Beschwerden mit wenigen Klicks auf den Internetseiten verfasst. Mit einem seiner Beiträge über die Taliban in Afghanistan sei es ihm ähnlich ergangen. 

Doch damit nicht genug. Vor einigen Wochen flatterte Metin G. ganz besondere Post aus seinem Heimatland ins Haus. Absender waren die türkische Staatsanwaltschaft sowie auch die deutsche Justiz. Er erhielt eine Vorladung zu einer Anhörung. Grund ist der Vorwurf der türkischen Justiz, die Metin G. rassistische Äußerungen gegenüber saudi-arabischen Menschen vorwirft. Gemeint war damit sein Beitrag zu dem Video über die Frage, ob Frauen auch Menschen seien. Da war Metin G. geschockt. Angezeigt hatte ihn jemand aus seinem Heimatort in der Türkei, dessen Name in der Anklageschrift zu lesen war. „Ich kenne ihn nicht persönlich, habe aber in seinem Facebook-Profil gesehen, dass er sehr regierungstreu ist.“ Metin G. liest aus dem Schreiben in türkischer Sprache, in dem ihm im letzten Absatz sogar Gefängnis angedroht wird, sollte er wieder türkisches Hoheitsgebiet betreten. 

Angst davor, das Konsulat zu betreten 

Das stellt für Metin G. in spätestens einem Jahr ein Problem dar, denn er hat nur die türkische Staatsbürgerschaft und muss dann seinen Pass verlängern. In der Regel passiert das im türkischen Konsulat in Münster. „Doch wenn ich das betrete, komme ich vermutlich nicht wieder raus und werde festgenommen“, befürchtet der Mann, der sich an den Verein International in Bünde wandte. Uli Papke, der Vorsitzende des Vereins, weiß von weiteren Fällen in Deutschland und der offensichtlichen Methode dahinter, mit der Regierungs- oder Islamkritiker hierzulande bedroht werden und mundtot gemacht werden sollen.

Laut einem Bericht des Deutschlandfunk gibt es bereits den internationalen Begriff der „Transnational Repression“, also der Unterdrückung über nationale Grenzen hinweg. Immer mehr autoritäre Regime würden diesem Trend folgen. Diese „Transnational Repression“ gliedere sich in mehrere Kategorien, die im schlimmsten Fall bei direkten Angriffen und Verschleppungen beginnen und über Mobilitätseinschränkungen durch Annullierung von Reisepässen bis hin zu Bedrohungen und Einschüchterungen in sozialen Medien reichen. In den meisten Fällen trifft es bekannte missliebige Dissidenten im Ausland. Aber wie sich zeigt, macht man offenbar auch vor einfachen Bürgern im Ausland wie Metin G. nicht mehr Halt, der doch einfach nur seine Meinung öffentlich sagen will.