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Der Geschichte Gesichter geben, NW Bünde 27.05.2021

Das Schicksal der Bünder Juden ist ein dunkles Kapitel der Stadthistorie – das bis in die 90er Jahre hinein vielfach totgeschwiegen wurde. Die Netzwerk-AG des Gymnasiums am Markt hat das verändert und tut das auch nach wie vor – jetzt mit einem Film

Von Maiko Haselhorst

Bünde
. 22 Jahre gibt es sie nun schon, die Netzwerk-AG des Städtischen Gymnasiums am Markt (GaM). 22 Jahre, in denen sich viel getan hat. „Es ist nicht so, dass wir im Jahr 1999 überall offene Türen einrannten – viele wollten sich mit dem Kapitel Nazizeit in Bünde gar nicht befassen“, macht die ehemalige GaM-Lehrerin Christina Jaffe (früherer Name Whitelaw) deutlich, die die AG seinerzeit mitgründete und leitete. Aber es hat sich etwas getan in den Köpfen der Bünder, nicht zuletzt aufgrund der Aufarbeitung der Gräueltaten durch die Netzwerk-AG. Ihr jüngstes Projekt ist ein soeben fertiggestellter Film, der ab sofort unter die Leute gebracht werden soll: „Der Geschichte Gesichter geben“.

 Als die AG sich 1999 gründete, begannen die Schüler und Schülerinnen unter anderem damit, unter Anleitung ihrer Lehrerin Einzelschicksale jüdischer Bürger zu untersuchen. Sie führten Interviews mit Zeitzeugen und deren Angehörigen. Dabei knüpften sie auch persönliche Kontakte zu 14 jüdischen Emigranten aus den Vereinigten Staaten – die auf Einladung der Gruppe sogar nach Bünde kamen. „Wir haben damals sogar die Übernachtungen im Hotel selbst bezahlt“, erinnert sich Jaffe. Erst als es öffentliche Anerkennung von außerhalb gab, habe die Stadt sich mit ins Boot gesetzt.

 Der Bünder Filmemacher Norbert Kaase, von Anfang an dabei, hielt die Gespräche mit den Zeitzeugen über den kompletten Zeitraum hinweg auf mehr als 30 Videokassetten fest. „Und da sind nicht nur einfache Gespräche zu sehen, sondern echte Emotionen“, betont Christina Jaffe. Ein Teil der Arbeit basiert auch auf Materialien aus Büchern des Historikers Norbert Sahrhage. Wieder anderes, so Jaffe weiter, sei durch die Aufzeichnungen der jährlichen Mahn- und Gedenkveranstaltung an der Marktstraße anlässlich der Reichspogromnacht hinzugekommen.

 Film soll vor allem in Schulen gezeigt werden

 Der Film soll die Geschichte der Juden in Bünde dokumentieren und nachfolgenden Generationen zugänglich machen. Er ist rund 80 Minuten lang und soll vornehmlich im schulischen Unterricht gezeigt werden. Weitere Aufführungen wären im Museum, im Kino Universum, in der Volkshochschule sowie in Kultur- und Jugendeinrichtungen möglich. Jedes Kind, jeder Jugendliche, jeder Heranwachsende in Bünde und Umgebung, so der Wunsch der Beteiligten, sollte den Film gesehen oder mindestens davon gehört haben. Diese Form der Erinnerungsarbeit sei insofern auch geboten, weil direkte Begegnungen mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen kaum noch möglich seien. Eine öffentliche Erstaufführung ist geplant, sobald die Coronaauflagen dies ermöglichen. Früher oder später, so Christina Jaffes Wunsch, solle der Film übers Internet für jedermann zugänglich sein. Kommerzielle Interessen würden mit dem Projekt nicht verfolgt.

Ganz ohne finanzielle Unterstützung durch öffentliche Mittel wäre das Filmprojekt, das sich in die Aktivitäten zu „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ einreiht, freilich nicht zustande gekommen – immerhin belaufen sich die Produktionskosten auf rund 12.000 Euro. Um Fördergelder beantragen zu können, kooperierte das Netzwerk mit dem Verein International. „7.000 Euro kamen von der Bundesregierung, 2.000 Euro steuerte das NRW-Förderprogramm Heimat-Scheck bei – der Rest waren Eigenmittel und private Spenden“, sagen Winfried Keller und Ulrich Papke vom Verein International.